Der Endkampf im Haushaltsstreit: Baerbock erklärt Verhinderung von Neuwahlen zur Demokratie-Frage
Die Spitzen der Ampel-Koalition treffen sich vertraulich im Kanzleramt – es geht um den Bundeshaushalt 2025. Doch selbst für das laufende Jahr werden vermutlich mehrere Milliarden Euro fehlen. Im Streit um neue Schulden dürften die kommenden Haushaltsverhandlungen die Ampel erneut auf die Probe stellen.
Baerbocks Warnung vor Neuwahlen
„Den größten Gefallen, den wir den Feinden der liberalen Demokratie im In- und Ausland tun könnten, wäre, dass noch eine europäische Demokratie vorzeitig in Neuwahlen geht“, antwortete Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Sie spielt damit auf die Wahlklatsche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei den Europawahlen an, der daraufhin in Frankreich das Parlament aufgelöst hatte. Eine bemerkenswerte Wahrnehmung.
Baerbock warnt vor einem Koalitionsbruch in Berlin – im Hinterkopf schwebt noch die Haushaltskrise des vergangenen Jahres. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht mal eben 60 Milliarden aus dem Klima- und Transformationsfonds gestrichen, Christian Lindner musste eine Haushaltssperre verordnen.
Die drängenden Haushaltsverhandlungen
Jetzt geht es wieder um die deutschen Finanzen: Christian Lindner, Olaf Scholz und sein Vize, Robert Habeck, haben sich am vergangenen Sonntagabend vertraulich im Kanzleramt getroffen. Noch wurde sich im Streit um den Haushalt für das Jahr 2025 nicht geeinigt. Eine Lösung muss allerdings in Kürze gefunden werden, denn bevor das politische Berlin in die Sommerpause geht, soll der Haushalt für 2025 im Bundestag beraten werden. Bis zum 3. Juli soll der Kabinettsentwurf stehen, zwei Tage darauf ist letzter Sitzungstag im Parlament.
Vier SPD-Ministerien fordern über 20 Milliarden Euro Mehrausgaben
Olaf Scholz muss an vielen Baustellen arbeiten: Kommend von der SPD-Krisensitzung nach dem überaus schlechten Ergebnis bei der Europawahl, musste sich der Bundeskanzler auch noch internen Machtkonflikten innerhalb seiner Partei stellen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte die Bundesregierung stark angefahren und für die Wahlklatsche verantwortlich gemacht. Außerdem kommen seitens der Kanzlerpartei keine Antworten darauf, warum die Wahlergebnisse so dramatisch schlecht ausgefallen sind.
Jetzt steigt der Druck auf den Bundeskanzler: In den Haushaltsverhandlungen muss er sowohl seinem Wähler als auch seinen Parteigenossen gerecht werden. Zwar hält Olaf Scholz an der sogenannten „stabilen Rente“ fest – für die jedoch in den kommenden Jahrzehnten immer weniger Geld verfügbar ist – und auch beim Bürgergeld soll nicht gespart werden. Aus linken SPD-Kreisen jedoch mehren sich Stimmen der Ungeduld: „Der Kanzler muss in den Gesprächen mit Lindner und Habeck die Lücke im Haushalt so weit wie möglich schließen“, soll ein ranghoher SPD-Abgeordneter laut dem Handelsblatt gesagt haben.
Der Druck auf die Ampel-Koalition
Geht es nach Armand Zorn, SPD-Mann aus dem linken Flügel, soll ein „zukunftsweisender Haushalt“ aufgestellt werden, der „Investitionen ermöglicht [und] den Wirtschaftsstandort stärkt.“ Aber auch der „soziale Zusammenhalt“ dürfe nicht gefährdet werden – der wohl wichtigste Faktor für die SPD. Das „Forum Demokratische Linke“, ebenfalls eine linke Strömung innerhalb der Kanzlerpartei, fordert sogar ein Mitgliederbegehren für den Bundeshaushalt für 2025, welcher eine „sozialdemokratische Handschrift“ tragen soll.
Das grundlegende Ziel der SPD – vielleicht auch der gesamten Ampelregierung – dürfte sein, eine Haushaltsnotlage zu erklären, denn sollte vor der Sommerpause keine Einigung im Streit um die Staatsfinanzen erzielt werden können, müssten die Verhandlungen auf den Herbst verschoben werden: genau zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Deshalb wird die SPD sicherlich enormen Einfluss in den Haushaltsverhandlungen ausüben – schließlich gibt es viel zu verlieren.
Die Schuldenbremse als Spielball der Politik
Die Haushaltskrise macht die Schuldenbremse immer öfter zum Thema – Lindner will unbedingt an ihr festhalten. Sie erlaubt eine jährliche Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Krisenzeiten darf sie teilweise ausgesetzt werden. Eine solche Krisenzeit soll jetzt mit allen möglichen Argumenten gerechtfertigt werden.
„Welche größere Notlage sollte es geben als diesen Krieg mitten in Europa?“, fragte Annalena Baerbock im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Sie meint, es wäre „fatal, in ein paar Jahren sagen zu müssen: Wir haben die Schuldenbremse gerettet, aber dafür die Ukraine und die europäische Friedensordnung verloren.“
Jetzt hängt sogar schon das Schicksal der Ukraine, womöglich sogar ganz Europas, an der Schuldenbremse. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Industrieverband BDI fordern ein „Sondervermögen“ – staatliche Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur sollen vermehrt getätigt werden. Die Grünen äußerten sich selbstverständlich positiv und forderten Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe, vor allem in neue sogenannte Klimaschutztechnologien und Wettbewerbsfähigkeit.
Dabei werden die strukturellen Probleme Deutschland nicht mit mehr Geld gelöst: Eine Wirtschaft kann nur unter dem Einsatz von Ressourcen und Arbeitskraft funktionieren. Der sogenannte Fachkräftemangel besteht nicht – zumindest nicht in dem aktuellen Ausmaß – wenn der massive Anstieg Erwerbstätiger im öffentlichen Dienst näher unter die Lupe genommen wird. Dieser jedoch dient dem Staat und seinen Institutionen, um Einfluss und Macht auszuüben – auf Wirtschaft, Gesellschaft und das politische Umfeld. Dafür braucht es viel Geld – und sollte dieses nicht durch massive Neuverschuldung kommen, dann dürfte das enormen politischen Sprengstoff für die Ampelkoalition bieten.
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